Andrea Tholl

Journalistin

° Antonia Rados: „Der Iran ist eine Absurdität“

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Die Kriegsreporterin Antonia Rados schildert mit viel Ironie in ihrem gerade erschienenen Buch „Zwei Atombomben dankend erhalten ihre Eindrücke aus dem Iran. Im stern.de-Interview spricht die 54-Jährige über Atombomben und wie die Iraner ein Doppel-Leben auf permanenter Sozial-Diät führen.

Andrea Tholl: Frau Rados, Ihr gerade erschienenes Buch trägt den Titel „Zwei Atombomben dankend erhalten“. Hat der Iran nun die Bombe oder nicht?

Antonia Rados: Wenn ich das genau wüsste, würde ich nicht hier sitzen. Aber wenn ich im Iran mit Menschen darüber spreche, geht es immer nur darum, so schnell wie möglich an die Bombe zu kommen. Diese Auskunft erhält man natürlich nur in inoffiziellen Gesprächen, ohne Kamera und Mikrofon. Die Atombombe scheint für das Regime die Lösung vieler Probleme zu sein.

Inwiefern?

Es gibt eine Art Stadtgespräch in Teheran, das besagt, dass die Mullahs unbedingt die Atombombe wollen, damit sich niemand von außen traut, aus humanitären Gründen zu intervenieren, wenn beispielsweise Studentenproteste brutal niedergeschlagen werden.

Offiziell wird von ‚friedlicher Atomkraft‘ gesprochen. Ist das eine glatte Lüge?

Zwischen den Zeilen kann man stets heraushören, dass es nicht um zivile oder friedliche Atomkraft geht, sondern immer um die Bombe. Ich habe sogar mit Regimekritikern gesprochen, die davon überzeugt sind, dass das Regime die Bombe bereits habe. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber im Nahen Osten sollte man lieber vom Schlimmsten ausgehen.

Das Buch trägt den Untertitel „Alltag im Iran des Ahmadinedschad“. Wie lebt es sich im Iran, einem Land, das als fanatischer Gottesstaat gilt und dessen Präsident ein ultrakonservativer Hardliner ist?

Es ist ein Leben in völliger Unsicherheit. Rechtssicherheit wie wir sie kennen, existiert dort nicht. Was heute verboten ist, kann morgen erlaubt sein. Oder umgekehrt. Es herrscht absolute Willkür – ein Charakteristikum für Diktaturen. Man bemerkt, dass die Menschen auf den Straßen sehr vorsichtig sind und kaum miteinander reden. Es gibt sehr viele Spitzel und dadurch ein großes Misstrauen.

Wie hält man das aus?

Im Grunde genommen hält man alles aus. Wie bei Godot. Eine seiner Figuren sagte: „Ich glaube, ich halte es nicht mehr aus.“ Die andere antwortete: „Das glaubst du nur.“ Das Interessante ist, wie die Leute mit dieser Willkür und der Unsicherheit umgehen. Das ist im Iran extrem überraschend. Viele Menschen führen ein Doppel-Leben. Es existiert nicht nur ein Iran, sondern zwei.

Eine Art Subkultur?

Genau. Jemand kann in einem offiziellen Leben einen normalen Job haben, Taxifahrer sein, Übersetzer, Verkäufer, im Büro arbeiten, oder auch arbeitslos sein, was durchaus auch im Iran weit verbreitet ist. Daneben kann diese Person inoffiziell Musik machen, malen oder eine Ausstellung organisieren. Die Unterdrückung erzeugt eine wahnsinnige Kreativität. Es existiert eine immense Kulturszene abseits der Öffentlichkeit, in der alles heimlich passiert.

Leben diese Menschen gefährlich?

Auf jeden Fall. Wenn die Hardliner ein Exempel statuieren wollen, laufen die Menschen, die solchen Aktivitäten nachgehen, Gefahr wegen Unterwanderung der Islamischen Republik verhaftet zu werden und ins Gefängnis zu kommen.

Kennen Sie solche Fälle?

Es gibt in Teheran ein Kaffeehaus, das von einer Frau betrieben wird, die längere Zeit in Amerika lebte. In diesem Kaffeehaus trafen sich die Intellektuellen. Irgendwann hatte der Geheimdienst die Nase voll und wollte es schließen. Da die Frau allerdings alle Genehmigungen hatte, ging das nicht so einfach. Deshalb konfiszierten sie die Kaffeemaschine. Und jetzt wird halt bei Tee gegen das Regime intrigiert.

Die Menschen lassen sich also nicht unterkriegen.

Sehr viele Leute nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund. Neulich fand vor der Uni eine spontane Demonstration statt. Da wurde lautstark gegen das Regime gewettert: „Wir haben jetzt genug davon!“ Oder ein Taxifahrer fragte mich kürzlich, was ich vom Iran halte: „Iran gut?“. Da ich nicht wusste, mit wem ich es zu tun hatte, nickte ich zustimmend und sagte: „Iran, sehr gut.“ Daraufhin schüttelte er den Kopf und antwortetet: „Nein, Iran nicht gut“. Vor allem die junge Bevölkerung im Iran lässt sich weniger kontrollieren. Das erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre.

Wie ist es denn überhaupt möglich, in einem Land, in dem Frauen jeglichen Alters verschleiert und bis zum Boden verhüllt herumlaufen müssen, keine Haarsträhne zeigen und nicht lächeln dürfen, einen Mann kennenzulernen?

Indem sie genau das alles nicht tun. Sie binden die Kopftücher so um, dass man die Haare sieht. Sie schminken sich sehr stark, man geht zu Partys. Auch im Iran ist es weder vermeidbar noch total verboten, dass Männer mit Frauen in Kontakt treten. Es ist aber anders als bei uns geregelt und extrem schwierig, eine Art Hindernislauf.

Warum?

Es gibt eine Art Apartheidssystem, das offiziell als Schutz der Frau dargestellt wird. Zum Beispiel diese Kopftücher. Da heißt es, es ist gut für dich als Frau, wenn du ein Tuch trägst. Sonst wären alle Männer hinter dir her. Aber es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn ein großer Teil der jungen Frauen in Teheran schwerst depressiv wäre.

Das klingt fruchtbar.

Für die armen Frauen ist es das auch. Sie leben auf einer permanenten sozialen Diät. Einen Mann zu finden, ist schwierig, einen Job zu finden, ist schwierig. Hobbys wie Sport zu betreiben, ist schwierig. Es ist auch nicht lustig, jeden Tag dasselbe anzuziehen. Ein Leben ohne Musik, Tanz, Freude zu führen, kann einen depressiv machen.

Die Gegenkultur, von der Sie sprachen, kann das also nicht kompensieren.

Für manche reicht die aus, aber sie ist auch nicht für jeden zugänglich. Die Privilegierten kommen eher in deren Genuss.

Befürchten Sie, dass Ihr Buch unangenehme Konsequenzen aus dem Iran mit sich bringen wird?

Diese Überlegung finde ich nicht so wichtig. Ich hatte das Gefühl, die Islamische Republik ist so eine Absurdität, dass man das beschreiben muss. Das Hingucken war für mich wichtiger, als zu überlegen, ob ich wieder ein Visum bekomme oder nicht.

Als Kriegsreporterin waren Sie schon in vielen Teilen der Welt. Sie haben aus Afghanistan, Somalia und dem Irak berichtet, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wie kamen Sie zu diesem für Frauen doch eher ungewöhnlichen Beruf?

Keine Ahnung, warum ich das geworden bin. Ich war einfach sehr neugierig, Und wahrscheinlich liegt es auch an meiner Generation. Ich bin Anfang der 50er Jahre geboren. Wir bekamen damals viele Möglichkeiten, in abwegige Berufe zu gelangen. Mich hat es halt in diese wilden Gegenden verschlagen. Da ich im Fernsehen bin, sagt man gern, ich sei eine Kriegsreporterin. Ich habe alle möglichen Etiketten. Dass ich im Privatfernsehen arbeite, ist schon mal schlimm. Aber eine Kriegsreporterin, ein sogenanntes ‚Flintenweib‘, ist noch viel schlimmer. Man sieht mich also als privatfernsehrechtliches Flintenweib. Ich sehe mich einfach als Reporterin.

Welche psychischen Voraussetzungen braucht man für diesen Beruf, in dem es oft um Leben und Tod geht?

Im Grunde wollen Sie doch wissen, ob ich besonders mutig bin. Ich habe mir angewöhnt, auf die Frage nach meinem Mut mit Camus zu antworten: „Es ist viel leichter mutig, als glücklich zu sein.“ Ich finde es einfach sehr interessant, diesen Beruf auszuüben. Er ist ein Segen. Eigentlich müsste ich dafür Geld bezahlen.

Wie oft hatten Sie Angst um Ihr Leben?

Es gab natürlich viele bedrohliche Situationen. Einmal wäre ich in Falludscha beinahe entführt worden, ein anderes Mal sprengte sich in Bagdad ein Attentäter am Hauptquartier der Amerikaner in die Luft, kurz nachdem wir den Ort verlassen hatten. Man hat Angst um sich, Angst um den Kameramann. Angst schützt einen auch. Aber ich versuche, rational zu bleiben und die Situation zu analysieren. Irrationalität ist der natürliche Feind des Kriegsreporters.

Dachten Sie schon mal daran, Ihren Beruf an den Nagel zu hängen?

Ich denke ungefähr zehn Minuten ans Aufhören, dann mache ich es wieder. Aber ich bin mir meiner Sterblichkeit durchaus bewusst.

Haben Sie bereits Ihr Testament gemacht?

Nein. Wenn ich eins machen würde, würde ich davon ausgehen, nicht mehr zurückzukommen. Davon gehe ich aber nicht aus.

Wie ist es für Ihren Lebensgefährten, Sie ständig in Krisengebiete ziehen zu lassen?

Ich bin leider eine lebende Zumutung. Der Trick ist, so wenig wie möglich zu dramatisieren. Ich bin eine Meisterin im Notlügen. Ich tue so als wäre es nicht so schlimm und er tut so, als würde er mir glauben.

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ZUR PERSON:

Antonia Rados, 54, wurde in Klagenfurt geboren und promovierte in Politologie. Seit 1978 arbeitet sie für verschiedene Fernsehsender, zuerst als Korrespondentin, später als Kriegsberichterstatterin. Während des Irak-Kriegs 1993 berichtete sie live für RTL und n-tv aus Bagdad. Rados wurde vielfach ausgezeichnet: Sie erhielt u.a. den Deutschen Fernsehpreis und den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für unabhängigen Journalismus. In ihrer Heimat Österreich wurde sie 1991 zur „Frau des Jahres“ gewählt. Antonia Rados lebt in Paris.

 

Veröffentlicht auf stern.de

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