Andrea Tholl

Journalistin

° Bernd Begemann: „Gerechtigkeit hat nichts damit zu tun“

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Foto: Andreas Hornoff

Foto © Andreas Hornoff / Tapete Records

Nicht jeder bekommt, was er verdient. Zum Beispiel Bernd Begemann: Der Liedermacher ist hochtalentiert und arbeitet schwer – mit bescheidenem Erfolg. Ein Porträt über den Don Quichotte des deutschen Pop

Der Popstar sieht müde aus. Unter seinen Augen liegen blaue Schatten, das dunkle Haar ist wirr zerzaust. Bernd Begemann, „Deutschlands bester Entertainer“ („Brigitte“), hat gerade gute neun Stunden Autobahnfahrt von Hamburg in den Süden hinter sich, Staus, Currywurst auf ‘ner Raststätte und der Suche nach dem richtigen Weg inklusive. Jetzt ist er am Ziel. Den altersschwachen goldenen Audi 90 hat er in der Tiefgarage eines 3-Sterne-Hotels geparkt, nun wartet er geduldig in der Lobby. Sein Zimmer ist noch nicht bereit für ihn.

Der 41-Jährige ist wieder einmal on tour. Allein mit seinem Begemobil (Kennzeichen: HH-BB 452), einer roten Gitarre, einer Rhythmusmaschine und einem Kleidersack, der Anzug und gebundene Krawatte beherbergt. Heute spielt er in einem Club in Schwäbisch Hall. Es könnte aber ebensogut ein Jugendzentrum in Marburg, Greifswald oder Flensburg sein. Tingelei durch die Provinz; gut 100 Konzerte im Jahr, urbane Großraumhallen füllt er selten.

Begemann sitzt allein auf dem abgewetzten braunen Cordsofa gegenüber der Rezeption. Teure Hotels kann er sich nicht leisten. Keine Groupies weit und breit und kein aufgeregter Manager, der wegen des Auftritts auf ihn einredet. Die Empfangsdame scheint den Popstar nicht zu kennen und kümmert sich weiter um ihr Tagesgeschäft. Begemann streckt die Beine aus, gähnt. Dicklich ist er und wirkt ein bisschen träge, aber in wenigen Stunden wird dieser Mann sein Publikum zum Toben und Mitsingen bringen. Seinem Bühnencharme kann kaum jemand widerstehen. Auf der Bühne verwandelt er sich in eine besonders leidenschaftliche Mischung aus James Brown und den Mainzelmännchen. Er singt, er rockt, er tanzt, er schwitzt, manchmal über vier Stunden. Und immer wieder spricht er mit warmer Stimme zu seinem Publikum – wie mit einem guten Freund. Er veranstaltet Filmratespiele und als Gewinn übergibt er ein Rasierset, das ihm seine Mutter vor Ewigkeiten geschenkt hat. Neulich durfte sich das Publikum wieder mal Lieder wünschen. Ein gewisser Martin wollte „Yesterday“ hören, um seiner verflossenen Liebe Sabine zu huldigen. Begemann zögerte nicht lange und sang mit Martin im Duett. „Das zeigt, wie ich meinen Platz im Leben definiere“, sagt Begemann, „außen vor – aber immer direkt bei den Leuten“.

Mit neun Jahren hat Begemann seinen ersten Song geschrieben. „Es war echtes Lied über ein echtes Gefühl“, sagt er. Damals war er mit seinen Eltern auf der Autobahn unterwegs, als er sich plötzlich übergeben musste. Sein Vater konnte nicht schnell genug anhalten, hinterher waren alle sauer auf den kleinen Bernd. Auch heute ist ihm der „emotionale Kern“ in seinen Liedern am wichtigsten: „Jedes meiner Lieder hat einen, nur darum geht es. Der wird geschützt, gestärkt, verherrlicht“. Schon vor dem Abitur ist der Ostwestfale von der Schule ist abgegangen. Das fanden seine Eltern, die ihn mit sechs Monaten adoptiert haben, gar nicht witzig. Aber Begemann wusste immer schon, was er will: sein Talent hegen, „auch wenn es keiner braucht“. Er will Lieder schreiben, die alles verändern, „wie ein Tischtuch, das man von einem vollen Tisch reißt.“ Er will, dass die Menschen seine Lieder singen wie „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens.

Nach zwanzig Minuten ruft ihn die Frau an der Rezeption auf. Er kann in sein Zimmer. In fünf Stunden muss er wieder los. Vorsichtig packt er den beigen Anzug aus, streicht ein paar Fusseln ab und hängt ihn an den Schrank.

Sein eigener steht in Hamburg. Dorthin ist er Anfang der 80er gekommen, „um Musik zu machen“. Seine erste Station war Rothenburgsort, ein heruntergekommener Arbeiterstadtteil im Süden der Hansestadt. 1987 veröffentlicht er mit seiner dreiköpfigen Band „Die Antwort“ sein erstes Album bei einer größeren Plattenfirma – fast ohne Resonanz. „Die haben die Platte nicht mal zu Promotionzwecken verschickt, wollten sie einfach nur von der Steuer absetzen“, sagt er. 1993 trennt sich die Band, seitdem ist Begemann Alleinunterhalter. Er gründet ein eigenes Label, das er „rothenburgsort records“ nennt und nimmt die Platten in seiner Küche auf. Bei manchen Liedern hört man im Hintergrund sogar das Brummen seines Kühlschranks. Seit April 2003 wohnt Bernd Begemann in einer großen 3-Zimmer-Wohnung mitten in Altona Nord, nicht weit von den angesagten Stadtteilen Sternschanze und St.Pauli. Manchmal kommt seine Freundin vorbei und kümmert sich um ihn und seine Balkon-Pflanzen. „Meine Wohnung ist wie ein Paradies“, schwärmt Begemann. „Sie ist so schön, dass man hier sterben könnte, ohne was verpasst zu haben. Ich möchte nur rumsitzen, lesen, was Kaltes trinken und Gameboy spielen“.

Bernd Begemann 2Macht er aber nicht. Sondern Gitarren-Pop mit deutschen Texten. Die Melodien gehen ins Ohr, die Texte sind ernst, aber nicht deprimierend, ironisch, aber nicht bloßstellend, immer klug, poetisch und warmherzig. Er singt gern von Liebe in all ihren Erscheinungen, von frischer, reifer, verlorener oder platonischer. Dabei ist es das Undramatische, das Alltägliche, das ihn interessiert. Seine Fangemeinde wächst von Jahr zu Jahr, die Presse liebt ihn. Begemann moderiert Schlagernächte, hat zeitweise eine eigene Talkshow im NDR. Er schreibt den Soundtrack zu „Sexie Sadie“, einem Kinofilm mit Jürgen Vogel und Corinna Harfouch. Bernd Begemann ist ein hart arbeitendes Allroundgenie. Und trotzdem: Der ganz große Durchbruch lässt immer noch auf sich warten. „Ich bin einfach zu blöd“, resümiert Begemann, „ich entwickle Ehrgeiz an den falschen Stellen. Zum Beispiel, wenn es um den Ausdruck meiner Lieder geht“. Er will „organisch-natürlich“ singen, „nicht so verkrampft wie andere“. „Um so primitiv zu werden, musste ich sehr viel nachdenken“, sagt er. Er sieht sich als jemand, der von anderen kopiert wird, die dann damit besser ankommen als er. Doch statt mit seinem Schicksal zu hadern, bleibt Begemann gelassen: „Das ist wie in „Erbarmungslos“ mit Clint Eastwood und Gene Hackmann – Gerechtigkeit hat nichts damit zu tun“. Vielleicht, ergänzt er, „bräuchte ich auch einfach nur ‘nen guten Manager“.

Heute muss es ohne gehen. Begemann zieht sich um, packt seine Bühnenklamotten ein und macht sich auf den Weg zu seinem Auto. Schwäbisch Hall wartet. Jedenfalls ein bisschen.

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