Andrea Tholl

Journalistin

° Jed Rubenfeld: Morddeutung

4. Oktober 2015 von Andrea Tholl | Keine Kommentare

Bis vor Kurzem schrieb Jed Rubenfeld ausschließlich juristische Abhandlungen, jetzt veröffentlichte er einen Kriminalroman. Warum? „Weil von meinem letzten Buch nur sechs Exemplare verkauft wurden“, sagt der amerikanische Professor für Verfassungsrecht, „vier davon an Familienmitglieder.“ Sein literarisches Debüt „Morddeutung“ stürmte dagegen auf Anhieb Platz 1 der englischen Bestsellerliste.

Rubenfeld führt seine Leser in das New York des Jahres 1909, als Dr. Sigmund Freud in die USA reist, um Vorlesungen zu halten. Während dieses Aufenthalts wird eine junge Frau stranguliert und mit Schnittwunden in einem vornehmen Appartement aufgefunden, eine zweite überlebt den Angriff, verliert aber durch den Schock Gedächtnis und Stimme. Mit Hilfe Freuds und der Psychoanalyse soll der Überlebenden geholfen werden, sich schnellstens an den Täter zu erinnern, um weitere Morde zu verhindern.

Eine spannende Entdeckungsreise in die Tiefen der menschlichen Seele beginnt. Es ist ein überzeugendes Debüt, das der 48-jährige Rubenfeld hingelegt hat – und es ist bloß erschienen, weil der Yale-Professor als vorbildlicher Ehemann auf seine Frau gehört hat. Er selbst hätte sein Krimi-Manuskript nämlich niemals verschickt.

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° Richard Bachman alias Stephen King: Qual

4. Oktober 2015 von Andrea Tholl | Keine Kommentare

Richard Bachman ist das Pseudonym eines Besessenen: Stephen King. Schon in den 70er Jahren hat der König des feinen, gut inszenierten Horrors mehr geschrieben, als sein Verlag veröffentlichen wollte. Ein Buch im Jahr sei genug für einen Autoren, hieß es, aber in Kings Kopf steckten so viele krude Fantasien, dass er sich einfach einen zweiten Namen zulegte, um mehr schreiben zu können.Seit 1977 veröffentlicht der Workaholic aus Maine als Richard Bachman (der Name fiel ihm ein, als er eine Platte von Bachman Turner Overdrive hörte), sein Alias hat sogar eine erfundene Biografie.

Qual„, in erster Fassung schon 1973 geschrieben, aber erst jetzt erschienen, ist der siebte Roman des Kingschen Alter Ego. Er erzählt in Rückblenden die Geschichte des geistig zurückgebliebenen Kleinkriminellen Blaze. Der plant mit seinem besten Freund George den ganz großen Coup: Sie wollen ein Baby aus einer reichen Familie entführen. Aber George wird vorher getötet, und jetzt will Blaze ihr gemeinsames Projekt allein zu Ende bringen. Doch irgendwie gibt sein alter Kumpel ihm Tipps aus dem Jenseits, und Blaze entwickelt eine eigene Beziehung zum Kind.

Bachmann/King hat keinen blutigen Horrorschocker à la „Shining“ oder „Carrie“ geschaffen, sondern eine bewegende Geschichte um einen Außenseiter der Gesellschaft – angereichert mit King-typischen Mystery-Elementen.

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° Robert Wilson: Die Maske des Bösen

4. Oktober 2015 von Andrea Tholl | Keine Kommentare

In seinem neuen Roman lässt es Robert Wilson ordentlich knallen. Mitten in einem Wohngebiet Sevillas explodiert eine Bombe, ein ganzer Wohnblock, eine Moschee und ein Kindergarten werden in die Luft gesprengt. Ein dutzend Menschen sterben, hunderte werden verletzt, es gibt mehr Opfer als in allen Wilson-Büchern zusammen. Das wäre schon schlimm genug für Chefinspektor Javier Falcón, aber der muss gleichzeitig noch in einem Ritualmord ermitteln. Und stellt schnell fest, dass es einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen gibt.

Auch persönlich müssen der meist melancholische Falcón und die anderen Hauptfiguren furchtbare Qualen durchleben. Damit stellt Robert Wilson, der knorrige Engländer mit Wohnsitz Portugal, dem globalen Phänomen Terrorismus raffiniert die psychische Dimension von Terror zur Seite. Durch diese Komplexität ist „Die Maske des Bösen“ nicht nur ein Krimi, sondern hat das Kaliber eines beeindruckend realistischen Verschwörungs-Thrillers. Die „New York Times“ findet, Wilson sei „einer der besten Thrillerautoren der Welt“. Kein Widerspruch.

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° Michael Connelly: Der Mandant

29. Juni 2015 von Andrea Tholl | Keine Kommentare

Vor einigen Jahren kam Michael Connelly als Zuschauer bei einem Baseballspiel zufällig mit seinem Nebenmann ins Gespräch. Bei den meisten Menschen würde diese kurze Begegnung wahrscheinlich ohne nennenswerte Folgen bleiben, bei dem US-Schriftsteller jedoch führte sie zur Erfindung einer neuen Romanfigur. Name: Michael Haller. Beruf: Strafverteidiger. Charakter: außen schmierig, innen eisern. Wie Michael Connellys Sitznachbar hat Haller sein Auto zum mobilen Büro umfunktioniert, um auf den weiten Wegen zwischen den Gerichten von Los Angeles County seiner Tätigkeit nachzugehen: zwielichtige Mandanten raushauen.

Mit dem reichen Immobilienmakler Louis Ross Roulet glaubt der ewig klamme Haller endlich das große Los gezogen zu haben. Der wird angeklagt, eine junge Frau nach einem Barbesuch schwer misshandelt zu haben. Haller sieht die Geschworenen schon auf seiner Seite, da nimmt der Fall eine dieser begnadeten Connelly-Wendungen. Und der Anwalt gerät selbst in Lebensgefahr.

Der Mandant“ ist Michael Connellys erster Justiz- Krimi. Wie fast alle seine vorherigen Romane packt er einen wie eine Achterbahnfahrt: Man wird durchgeschüttelt, nimmt steile Kurven in einem halsbrecherischen Tempo und will am Ende nur noch eins – das Ganze noch mal von vorn.

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° Elizabeth George: Am Ende war die Tat

29. Juni 2015 von Andrea Tholl | Keine Kommentare

Die Lady liebt Fastfood, trashige Horrorfilme, trockenen Sherry und Scones mit viel Sahne. „Aber alles nur in Maßen“, sagt Elizabeth George, im Hauptberuf amerikanische Bestseller-Autorin. Meistens sei sie sehr diszipliniert: In aller Herrgottsfrühe wird ein strammes Sportprogramm absolviert. Danach setzt sie sich an den Schreibtisch und steht nicht auf, bevor sie mindestens fünf Seiten geschrieben hat. Mit dieser Beharrlichkeit hat es die 58-Jährige auf mittlerweile 13 Kriminalromane mit dem englischen Ermittlerduo Inspektor Lynley und Sergeant Havers gebracht.

In ihrem neuen Buch erhalten die beiden allerdings nicht viel mehr als Nebenrollen. Überhaupt ist das Buch gar kein richtiger Krimi: George schildert in einer Rückblende das Leben des zwölfjährigen Joel, der im Vorgängerroman („Wo kein Zeuge ist“) die schwangere Frau von Inspektor Lynley erschossen haben soll. Psychologisch versiert beschreibt George die armseligen Lebensumstände des Jungen und gibt einen tiefen Einblick in Joels geschundene Kinderseele, die sich in einem Milieu aus Sex, Drogen und Gewalt nicht anders zu helfen weiß, als selbst eine Pistole in die Hand zu nehmen. Ein spannender und beklemmend realistischer Gesellschaftsroman – und ein Elizabeth-George-Buch der etwas anderen Sorte.

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° Elizabeth George: Doch die Sünde ist scharlachrot

29. Juni 2015 von Andrea Tholl | Keine Kommentare

Mir zwölf Jahren war es um die Amerikanerin Elizabeth George geschehen: Eine englische Mitschülerin erzählte ihr von Cliff Richards, den Beatles, roten Telefonzellen und Linksverkehr. Ihre Britmania hat bis heute angehalten. Alle Romane der 59-Jährigen spielen in Großbritannien. Bei jedem hat sie den Anspruch, einen neuen Aspekt ihres Lieblingslandes zu beleuchten.

In „Doch die Sünde ist scharlachrot“, dem 14. Band mit den Kommissaren Lynley und Havers, ist es die englische Surf-Gemeinde. In einem Wellenreiterrevier in Cornwall stürzt der 18-jährige Santo von den Klippen. Die Leiche wird ausgerechnet von Detective Lynley entdeckt, der nach dem Tod seiner Frau den Dienst quittiert hat und einsam durch Südengland wandert. Seine feine Sprache hat das Buch noch einer Bestseller-Autorin und England-Spezialistin zu verdanken: Rebecca Gablé hat den Roman unter ihrem richtigen Namen mit ihrem Mann übersetzt.

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