Andrea Tholl

Journalistin

° Friedrich Ani: Epiphanie im Sylter Watt

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Foto © Andrea Tholl

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Friedrich Ani ist einer der besten Krimiautoren Deutschlands. Jetzt hat er einen neuen Kommissar erfunden: Polonius Fischer ist ein ehemaliger Mönch, der fast seinen Glauben verloren hätte. Das hat er mit seinem Schöpfer gemein.

Friedrich Ani schneidet ein Stück von seinem Käsebrot ab und erzählt von der Entstehung seines neuen Krimis „Idylle der Hyänen„. Vom zwölfköpfigen Ermittlerteam um den Münchener Hauptkommissar Polonius Fischer, polizeiintern die „zwölf Apostel“ genannt. Sylt zeigt sich dabei von ihrer betörenden Seite: die Sonne wärmt wohltuend, das Meer rauscht bedächtig. „Diese Insel ist ein magischer Ort“, sagt der gebürtige Oberbayer. Er kommt schon seit Jahren hier hoch an die Küste, um seine „innere Schwere aufzulösen“.Auf einmal waren sie da, alle zwölf Apostel. „Sie kamen direkt übers Watt auf mich zu. Einer nach dem anderen“. Friedrich Ani, gefeiert als der gegenwärtig beste deutsche Krimiautor, sitzt im „Strandcafé“ in Westerland auf Sylt, der Bart drei Tage alt, die angegrauten Haare halblang, ein Kirk-Douglas-Grübchen am Kinn. Auf der Karte gibt es Cappuccino mit Sprühsahne und von links schallt das mittägliche Konzert des Kurorchesters herüber. Im letzten Jahr half ihm Sylt auf wundersame Weise aus einer akuten Notsituation. Zwei Jahre schrieb er da schon an einem Roman – und war verzweifelt, weil er dachte, das ganze Material sei untauglich. Ani fiel in eine tiefe Krise, stellte sich als Autor komplett in Frage. „Stundenlang bin ich hier auf der Insel in einem benebelten Zustand herum gelaufen“, sagt er mit leicht bayrischem Dialekt. „Dann war ich eines Morgens in meinem Lieblingsort Rantum unterwegs. Es war ganz still, dieses irrsinnige Insellicht strahlte. Plötzlich gab es einen Moment wie eine Epiphanie“. Das war der Augenblick, als die zwölf Ermittler seines neuen Romans aus dem Watt stiegen, allen voran Polonius Fischer. Die Krise war vorbei. Der 47-jährige verwarf den alten Roman und fing sofort mit der Arbeit am neuen an. Zwei Tage später stand das Konzept.

Das Dutzend um Anis neuen Helden ermittelt in „Idylle der Hyänen“ zum Tod einer jungen Frau, die in einer Münchner Tiefgarage gefunden wird. Die Tote wird als Nele Schubart identifiziert, Parfümerieangestellte und Mutter der siebenjährigen Katinka. Aber die ist spurlos verschwunden. Die Tote pflegte einen lockeren Umgang mit Männern und schloss ihre Tochter oft zu Hause ein, während sie sich auswärts amüsierte. Fischer trifft bei seinen Ermittlungen auf einen Mann, der außer zur Toten Kontakt zu einer ehemaligen Nonne hatte, die aus ihrem Kloster verschwunden ist. Stück für Stück fügen sich die Versatzstücke zu einem aufwühlenden Kriminalroman zusammen.

„Nichts ist komischer als das Unglück“

„Ich bin ein menschlicher Höhlenforscher“, sagt Ani, „ich versuche, die Menschen völlig auszuleuchten. Ich krieche so tief in sie hinein, wie es geht“. Seine Figuren gewähren Einblicke in die menschliche Seele, die manchmal so schmerzhaft sind, dass es kaum auszuhalten ist. Einsamkeit und Verzweiflung stehen oft im Mittelpunkt ihres Daseins. Das hat mit Ani zu tun, seinen Abgründen, seinen eigenen Empfindungen. „Das ist ja mein Buch, sind meine Figuren“, sagt er, „jede ist Teil meines Charakters. Meines Kellers. Meines Paradieses“.

Wie Fischer und sein vorheriger Kommissar Tabor Süden lebt der Schriftsteller in München. Nach dem Abitur ist er dort hingezogen aus Kochel am See, wo er erzkatholisch aufgewachsen ist – mit einem mohammedanischen Vater und einer schlesischen Mutter. Mit dem Schreiben hat Ani in der Schule angefangen. Die Geschichten seien schon damals auf ihn zugekommen: „Ich war schon immer zwangsinteressiert an anderen“, sagt er. „Mir haben immer alle ihr Leben auf den Tisch gelegt und ich habe es angenommen. Es war mir nie fremd“. Einer seiner Lieblingsschriftsteller ist Samuel Beckett, Dramatiker des Absurden Theaters. „Nichts ist komischer als das Unglück“, hat der mal gesagt. „Stimmt“, sagt Ani. „Wenn ich sein Theaterstück ‚Endspiel‘ lese, rührt mich das heute noch. Da steht alles über das Leben drin, was ich weiß“.

Geister der Erleuchtung

Um die Facetten zwischen Gut und Böse, darum geht es in seinem neuen Buch. Um Selbstjustiz, Selbstmord und den Glauben an Gott. Und um die seltsamen Brüche im Leben seiner Hauptperson: Polonius Fischer (kurz auch P-F genannt) hat mit 19 Jahren eine Polizistenausbildung gemacht, um kurz danach den Dienst zu quittieren und Mönch zu werden. Aber im Kloster hielt er es nur neun Jahre aus, weil seine Zwiesprache mit Gott nicht funktionierte. P-F ging zurück zur Polizei und ermittelt dort seit über zehn Jahren für die Mordkommission München im Kommissariat 111.

Religion im Polizeiroman ist kein neues Phänomen, siehe Gilbert Keith Chesterton, Kathy Reichs oder Faye Kellerman. Doch das Religionsverständnis Anis ist anders. Es verlässt das Metaphysische – obgleich noch immer schwer im Trend durch Dan Browns „Da Vinci Code“ – zugunsten des Transzendenten. Der Glaube an Gott steht im Zentrum, gelebt durch den ehemaligen Mönch Fischer. Es ist ein moderner, realistischer Glaube, der an vielen Stellen provoziert. Sein Verhältnis zum Vatikan und zum Papst – für ihn „der Verein“ – nennt Ani „kritisch“. Aber aus der Kirche austreten will er nicht, „das schaffe ich nicht“, sagt er und schaut auf das Meer. „Aber die Kirche ist ein guter Ort, um ruhig zu sitzen“. Außerdem mag er die Bibel, weil „die Storys einfach gut sind“.

Gute Geschichten sind seine Leidenschaft. Bereits nach dem Abitur arbeitete er in München als Journalist, veröffentlichte Gedichte, schrieb Hörspiele, Jugendbücher, Theaterstücke und Drehbücher, zum Beispiel für „Tatort“ und „Ein Fall für Zwei“. Zum Kriminalroman kam er erst Mitte der Neunziger, mehr zufällig und ungewollt. „Killing Giesing“, sein Genre-Debüt, fand auf Anhieb große Beachtung. Mit der zwölfbändigen Reihe um den schweigsamen Ermittler Tabor Süden kam ein paar Jahre später der große Durchbruch. 2002 und 2003 erhielt Friedrich Ani den renommierten Deutschen Krimi-Preis. Im Jahr 2003 sogar für drei Romane der Serie gleichzeitig. „Beatlesmäßig“ findet er das. Was ihm der Erfolg bedeutet? Nichts. „Erfolg ist außen“, sagt der Innenmensch Ani, „was zählt, ist immer das nächste Buch“. Und nun möchte er den Sylter Geistern danken – für die Erleuchtung im letzten August. Wie, das will Friedrich Ani nicht verraten.

Veröffentlicht bei SPIEGEL ONLINE

 

 

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