Andrea Tholl

Journalistin

° Bascha Mika: „Frauen beweisen ihre Liebe noch immer mit der Klobürste“

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Die ehemalige Chefredakteurin der links-alternativen „taz“, Bascha Mika, scheut keine Konflikte – auch nicht mit ihren Geschlechtsgenossinnen. In ihrem Buch „Die Feigheit der Frauen“ bezeichnet sie Frauen als feige und wirft ihnen vor, sie selbst hätten die Emanzipation vermasselt. Ein Interview mit einer streitbaren Frau

Andrea Tholl: Der Titel Ihres neuen Buches provoziert. Er heißt die „Die Feigheit der Frauen“. In welchen Situationen sind Frauen denn feige?

Bascha Mika: Frauen sind dann feige, wenn sie im privaten Bereich entscheiden, ob sie ihren eigenen Wünschen und Träumen folgen oder sich fremden Bedürfnissen, meistens denen ihrer Freunde oder Männer, unterordnen. Und das auch noch freiwillig.

Warum machen sie das?

Dafür gibt es tiefenpsychologische Erklärungsmuster. Das Verhalten hat mit einer jahrtausendealten Unterdrückungssituation zu tun. Die altbekannte Frauenrolle bietet Sicherheit, weil man sie kennt und mit ihr vertraut ist. Vor ihr haben Frauen weniger Angst als davor, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Eigenständigkeit ist mühselig. So scheint es einfacher und bequemer zu sein, weil man keine Konflikte austragen muss.

Hat die alte Frauen-Rolle nicht längst ausgedient?

Wunderbar, wenn es so wäre. Offiziell sind Frauen bei uns natürlich längst gleichberechtigt. Trotzdem treiben die alten Rollen noch überall ihr Unwesen. Sie sind bei Männern und Frauen tief verankert, im Kopf, im Herzen und im Bauch. Sie sind wie Untote, die man für gestorben hält, die aber lustig weiterleben.

Sie behaupten am Beispiel von Eva, 38, verheiratet, 2 Kinder, ehemalige Abteilungs-leiterin, dass Frauen sich selbst belügen, wenn sie sagen, sie seien mit ihrem Leben als Hausfrau und Mutter zufrieden. Wie kommen Sie darauf, es wirkt doch wie eine selbstbestimmte Entscheidung?

Das ist ein Trugschluss. Denn damit folgen sie einem überindividuellen Muster, das sich bei Millionen von Frauen wiederfindet. Frauen wie Eva wollten das volle Leben: einen Beruf, gesellschaftliche Teilhabe, aber auch Liebe und Familie. Wenn sich diese Frauen dann selbst reduzieren und zu Hause bleiben, können sie es häufig vor sich selbst nicht zugeben, in die traditionelle Rolle getappt zu sein. Eine Rolle, die sie vorher immer geschreckt hat – im Sandkasten hocken oder die Hemden des Mannes zu bügeln.

Damit erklären Sie alle Frauen für unmündig, die sich für die Familie entscheiden und zu Hause bleiben.

Ach, Quatsch! Das ist ein Lebensmodell, mit dem Frauen durchaus glücklich werden können. Aber mir geht es um die Frauen, die den Anspruch haben, selbstbestimmt und unabhängig zu sein, die alles mit ihrem Partner teilen und Beruf und Familie gleichrangig vereinbaren wollen. In Deutschland sind das mehr als die Hälfte, unter den jungen, gut ausgebildeten Frauen sogar 90%.

Findet bei Frauen ein Verdrängungsmechanismus statt, um sich vor unliebsamen Wahrheiten zu schützen?

Ja, ganz klar. Therapeutinnen bestätigen, dass Frauen, die einen selbstbestimmten Lebensentwurf hatten, selten zufrieden sind, wenn sie sich von ihren eigenen Ansprüchen verabschieden und das, was sie an Ausbildung erworben haben, nicht mehr richtig einsetzen können. Es gibt Untersuchungen darüber, dass verstärkt diejenigen therapeutische Hilfe brauchen, die sich in den häuslichen Bereich zurückziehen. Frauen wie Eva bekommen irgendwann das Gefühl, nicht glücklich zu sein, weil sie nicht mehr wissen, was ihr eigenes Leben ausmacht – jenseits von Familie. Sie haben Ängste und wissen genau, sie leben in einer prekären Situation.

Wieso ist die Situation prekär?

Es kann sich sehr schnell alles ändern. Dann wird Eva feststellen, dass sie sich in eine Lebenssituation begeben hat, in der sie für sich ganz wenig erreicht hat. Und sie ist völlig abhängig. Solange alles gut geht, die Kinder und der Mann da sind, mag sie ganz zufrieden sein, aber man muss sich nur mal vorstellen, wie es ist, wenn der Mann plötzlich weg ist, weil ihm eine andere Frau über den Weg läuft oder ihm etwas zustößt. Wenn Eva ganz allein die Kinder und sich selbst ernähren muss. Was macht sie denn dann?

Bei der Entscheidung, wegen der Kinder zu Hause zu bleiben, spielen noch ganz andere, handfeste, Gründe eine Rolle. Die Rahmenbedingungen, Job und Kind zu vereinbaren sind nach wie vor ungenügend.

Die mistigen Strukturen in Bezug auf Kinderbetreuung, Entlohnung, Karrierechancen sind für Frauen in Deutschland eine Katastrophe, wir haben ein verfestigtes, männlich dominiertes System. Dagegen kann die einzelne Frau nichts machen, egal wie mutig sie ist. Da muss man mit gesetzlichen Regelungen ran, zum Beispiel der Quote. Im Privaten haben Frauen aber die Wahl. Trotzdem behaupten sie häufig, nur die Strukturen würden sie hindern. Sie übersehen dabei ihre Verantwortung, ihre eigenen Entscheidungsspielräume.

Welche?

Frauen können entscheiden, wie lange sie nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben, ob sie ihre beruflichen Ambitionen so wichtig nehmen wie die ihres Mannes oder ob sie ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten ihres Partners aufgeben und zurück stecken. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass ein Jahr die Mutter und ein Jahr der Vater die Familienarbeit übernimmt, im dritten Jahr können beide ihre Arbeitszeit reduzieren. Es geht alles, ist gesetzlich möglich, man muss es nur früh genug regeln. Niemand zwingt uns, uns mit einem Kerl zusammen zu tun, der uns dominieren will. Den suchen wir uns selbst aus. Es zwingt uns auch niemand, für ihn die Hausarbeit zu machen und gemeinsame Kinder allein zu erziehen. Wenn wir uns nicht freiwillig unterordnen, hilft unsere Verweigerung, die Situation zu verändern.

Und wie?

Ich gehe davon aus, dass das Private Politisch ist. Wenn wir im Privatbereich Entscheidungen fällen, die die gesellschaftlichen Strukturen stützen, werden diese dadurch gefestigt. Wenn wir uns im Privaten jedoch anders verhalten, helfen wir, auch die objektiven Strukturen zu verändern. Deshalb ist es auch so wichtig, im Privaten die Wahl für eine eigenständige und selbstbestimmte Frauenrolle zu treffen. Den subjektiven Faktor haben wir in den letzten Jahren vernachlässigt. Beides – das Objektive und das Subjektive – muss man aber unbedingt zusammen denken.

In Ihrem Buch stellen Sie die These auf, Frauen hätten mit diesem subjektiven Faktor die Emanzipation vermasselt. Ganz schön harter Tobak.

Provokativ, bestimmt. Und beabsichtigt. Ich wollte eine Debatte in Gang setzen, was mir auch gelungen ist, wenn ich die Reaktionen meiner Leserinnen und der Medien betrachte. Aus meiner Sicht sind wir in den letzten 15, 20 Jahren emanzipatorisch keinen Schritt voran gekommen. Es herrscht Stillstand. Frauen halten durch ihr eigenes Verhalten das Geschlechterspiel am Laufen, stabilisieren das System von übergeordneter Männlichkeit und untergeordneter Weiblichkeit. Wir sind keine Gegnerinnen des Systems, sondern Komplizinnen.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Geiselmentalität der Frauen.

Frauen sind von etwas Ähnlichem befallen wie dem „Stockholm-Syndrom“. Dieses Phänomen hat die Psychologie bei Geiselnahmen beobachtet. Wenn Geiseln in Geiselhaft genommen werden, sind sie völlig ohnmächtig. Manche kompensieren ihre Ohnmacht dadurch, dass sie sich mit den Geiselnehmern identifizieren, sie sogar lieben lernen. Psychologisch betrachtet, hat man dadurch Anteil an deren Macht.

Bei Geiseln ist das nachvollziehbar, aber bei Frauen?

Übertragen auf Frauen werden sie vom männlich dominierten System, nicht vom einzelnen Mann, in Geiselhaft genommen. Sie identifizieren sich und lernen es zu lieben, weil es Vorteile verspricht. Aber wir müssen uns nicht mehr als Geiseln zur Verfügung stellen, auch wenn wir jahrhundertelang unterdrückt wurden und die Opferrolle gut kennen.

In eine ähnliche Richtung zielen Sie mit dem Begriff „Annika-Zwang“, dem viele Frauen erliegen.

Pippi Langstrumpf ist ein Rollenmodell, das wir alle toll finden: frech, kreativ, durchsetzungsstark, unangepasst. Dabei verweigert sie sich nicht mal einer Rolle, sondern kennt einfach keinen Rollenzwang. Pippis Freundin Annika ist das genaue Gegenteil.

Was heißt das konkret?

Sie ist übervorsichtig, glaubt, allen Ansprüchen gehorchen und immer das brave Mädchen geben zu müssen. Sie hat die traditionelle Mädchenrolle voll angenommen. Wir Frauen werden noch immer zu Annikas erzogen. An der Oberfläche sind wir gern frech und aufmüpfig und tun so, als hätten wir mit alten Rollen gar nichts zu tun. Wenn es dann aber um die Wurst geht, guckt plötzlich die kleine Annika hervor. Dann haben wir das Gefühl, wir müssten uns beugen und unterordnen. Das ist fast wie ein innerer Zwang. Noch extremer wird es, wenn eine Frau Mutter wird.

Inwiefern?

Sobald das erste Kind kommt, wird es besonders brutal, weil Mütter schnell das Gefühl entwickeln, sie seien alleine für alles zuständig, obwohl noch 2/3 aller Kinder unter zwölf Jahren bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Eine Studie aus dem letzten Jahr bestätigt aber, dass über 60% der Mütter sich allein für das Kind zuständig fühlen, auch wenn sie nicht alleinerziehend sind.

Feigheit_der_FrauenWoher kommt diese Einstellung?

Das ist der Einfluss der traditionellen, deutschen Mutterrolle, auf die Frauen sozialisiert werden und die nach wie vor absolut gesetzt wird. Frauen wird noch immer ein schlechtes Gewissen eingeredet, wenn sie nicht die 24-Stunden-Allround-Mutter spielen. Und weil sie außerdem glauben, der Vater könne es nicht genauso gut wie sie. Das halte ich für kompletten Unsinn. Es ist ein Hormonkomplott, gesteuert von überkommenen Bildern.

Wie funktioniert das?

Das Druckmittel ist Schuld, das Ergebnis die Schwächung unserer Selbstbestimmung.

Was aber, wenn die Väter nicht mitspielen, wie Statistiken belegen?

Frauen müssen früh anfangen, lösungsorientiert zu streiten, nicht rummeckern. Ein beliebtes Argument der Männer ist, es würde ihrer Karriere schaden, wenn sie beruflich kürzer treten. Aber den Frauen schadet es beruflich auch. Es ist völlig absurd, wenn Männer sagen, sie freuen sich, Vater zu werden, sich aber dann aus der Verantwortung stehlen. Frauen dürfen in dem Moment nicht die gesamte Verantwortung übernehmen, sondern müssen nein sagen.

Und einen Konflikt in Kauf nehmen?

Genau. Da kommt aber oft wieder die Feigheit ins Spiel. Wir machen das häufig nicht, weil wir Angst vor dem Streit haben oder befürchten, den Mann vielleicht zu verlieren. Aber dieses Risiko müssen wir eingehen. Viele Frauen glauben, sie müssen ihre Liebe noch immer mit der Klobürste beweisen. Wir glauben, durch unsere freiwillige Unterordnung könnten wir das Risiko minimieren. Aber das ist Quatsch.

Quatsch?

Es macht keinen Sinn, unsere eigenen Bedürfnisse denen des Mannes unterzuordnen. Familienforscher haben festgestellt, dass eine ungleiche Beziehung ein unglaubliches Konflikt- und Trennungspotenzial birgt. Selbst wenn wir zurückstecken, sind wir uns des Mannes und seiner Liebe und Unterstützung nicht sicher. Dann können wir doch besser gleich die Konflikte eingehen und sagen, hier Junge, wir machen das jetzt alles schön gemeinsam.

Lässt sich Mut lernen?

Da bin ich sicher. Denn Mut liegt nicht in den Genen. An anderen Stellen sind Frauen sehr mutig, oft mutiger als Männer,

Wann zum Beispiel?

Frauen können großartig für andere kämpfen. Wenn sie aber ihre eigenen Lebensentwürfe verteidigen und zu ihren eigenen Ansprüchen stehen müssen, dann knicken sie ein und sind häufig konfliktscheu. Mut lässt sich in kleinen Schritten lernen.

Wie denn?

Man muss sich dem inneren feigen Schweinehund stellen. Wenn es zum Beispiel einfacher, bequemer und schneller ist, die Küche selbst aufzuräumen, anstatt mit dem Mann darüber zu diskutieren, dass er dran ist. Wenn wir aber den Konflikt eingehen und ihn durchstehen, lernen Frauen, dass man nicht sofort verlassen wird. Männer hängen schließlich auch an ihren Frauen. Die Männer, die wegen solcher Konflikte gehen, sind es auch nicht wert, dass man bei ihnen bleibt.

Eine Änderung der Situation funktioniert also nur mit Zwang und nicht freiwillig?

Keine Befreiungsbewegung funktioniert so, dass der Mächtige zum Unterlegenen sagt, ich gebe Dir jetzt mal ein bisschen Macht ab. Männer sind ja nicht böse, sondern wollen nur nicht zurück stecken und freiwillig auf Privilegien verzichten. Deshalb muss der Impuls von den Frauen ausgehen.

Welche Belohnung winkt Frauen am Ende für all diese Mühen?

Sie bekommen eine ganze Menge. Die Kraft zu spüren, wenn unser Handeln in Einklang mit unseren Ansprüchen und Wünschen steht, ist toll. Das macht so viel selbstbewusster und freier als das Gefühl, Opfer zu sein. Der Beruf stiftet einen Lebenssinn, wir nehmen am gesellschaftlichen Leben teil und stehen ökonomisch auf eigenen Füßen. Ohne dass wir dabei auf Liebe und Familie verzichten müssen. Freiheit kann frostig sein, aber auch herrlich beglückend. Wir können nur gewinnen.

Wenn man sich ihren Lebenslauf anschaut, wirken Sie wie eine sehr mutige Frau. Sie waren über zehn Jahr Chefredakteurin der taz und haben eine kritische Biographie über Alice Schwarzer veröffentlicht. Gab es auch Rollenfallen, in die Sie gestiefelt sind?

Aber hallo. Das Gefühl, wir machen uns zum Weibchen, wenn zum Beispiel ein toller Mann auftaucht, kenne ich auch. Als ich anfangen wollte zu studieren und es um die Frage ging, in welche Stadt gehe ich, bin ich meinem damaligen Freund von Aachen nach Bonn gefolgt, weil er da mit einem Job anfangen wollte. Die Stadt war für mich gar nicht attraktiv. Die Gemeinheit war, und das war die gerechte Strafe, er hat sich dann doch für einen Job in Frankfurt entschieden und ich saß in Bonn mit einem Studienplatz. Das habe ich nie wieder gemacht. Und auch als es um die taz-Chefredaktion ging, habe ich mich bitten lassen und nicht „hier“ geschrien.

Aber angenommen haben Sie den Posten.

Ja, das war meine bis dahin größte Mutprobe, weil die Chefredaktion damals ein echter Schleudersitz war, ein Kamikazeunternehmen. Bereut habe ich es nicht. Egal, wie es ausgeht, etwas zu wagen, ist toll.

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ZUR PERSON

Bascha Mika, 57, wurde in Polen geboren. Mit fünf zog sie mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Nach einer Banklehre studierte sie Germanistik, Philosophie und Ethnologie. Sie arbeitete als freie Journalistin und kam 1988 zur taz, deren Chefredakteurin sie von 1999 bis 2009 war. 1998 veröffentlichte sie eine kritische Biographie über Alice Schwarzer. Heute ist sie Publizistin und Honorarprofessorin an der Universität der Künste Berlin. Bascha Mika lebt in Berlin.

 

 

 

 

 

 

 

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