Andrea Tholl

Journalistin

° „Vom Winde Verweht“ – Fortsetzung: Die Legende klebt

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Ralf Bauer Foto © Andrea Tholl

Scarlett O’Hara und Rhett Butler haben in „Vom Winde verweht“ Geschichte geschrieben. Nun bekommt ihre unglückliche Liebe eine neue Chance: In „Rhett“ spinnt US-Autor das zuckrige Südstaatendrama weiter – und der Verlag feiert das Buch mit einer pompösen Gala.

Irgendetwas muss dran sein an dieser Geschichte, die die größte Lovestory der Welt genannt wird. Etwas, das die Menschen nicht genug bekommen lässt von „Vom Winde verweht“ – schließlich erlebt die romantisch-verkorkste On-Off-Beziehung zwischen Scarlett O’Hara und Rhett Butler jetzt schon ihren dritten Aufguss. 1936 erschien Margaret Mitchells Original (28 Millionen verkaufte Exemplare weltweit plus Pulitzerpreis), 1991 das Sequel „Scarlett“ von Alexandra Ripley (sechs Millionen Mal verkauft). Und jetzt also: „Rhett“, geschrieben von dem amerikanischen Autor Donald McCaig. Der erzählt die ganze Story noch einmal, diesmal aus der Sicht des charmanten, aber rätselhaften Mr. Butler. Und so ein Ereignis will gefeiert werden. Und zwar richtig.

Ins „Schmidt Theater“ auf der Hamburger Reeperbahn hat der deutsche Verlag Hoffmann und Campe zu einer öffentlichen „Rhett“-Gala eingeladen. Der Begriff „Gala“ lässt Pompöses erwarten – normalerweise werden neue Bücher weit weniger aufwändig präsentiert. Aber was ist schon normal bei einer Geschichte wie dieser? Die geplüschten Sessel des rotsamtenen Theaters sind voll besetzt, vor allem mit Frauen mittleren Alters. Große Bodenvasen mit Baumwollzweigen sorgen für südstaatengemäße Bühnenbotanik, aus den Boxen wabert das „Vom Winde verweht“-Thema in den Raum. Den weiblichen Gästen werden Fächer in die Hand gedrückt. „Rhett. Die Legende lebt.“ steht darauf – das Mantra des Vormittags.

Moderatorin Gabriela von Sallwitz, Leiterin der Hörbuchsparte des Verlags Hoffmann und Campe, trägt ein langes gerafftes Etwas, das an die Kleider der 1860er-Südstaaten-Schönheiten erinnern soll. Und sagt, man wolle heute die Veranstaltung „bescheidener“ halten als damals bei der Filmpremiere von „Vom Winde verweht“, als der Gouverneur von Atlanta einen Feiertag ausrief und 300.000 Menschen die Straßen säumten. Aber „festlich“ dürfe es heute schon werden.

Aber warum eigentlich dieses Buch? Wieso braucht es eine neue Version der Geschichte? Das versucht Günter Berg auf der Bühne zu erklären, Verlagsleiter bei Hoffmann und Campe: Der alte Rhett Butler aus „Vom Winde verweht“ sei schon ein „Mordstyp“ gewesen. Aber eben auch ein Ekel, „allein dieses Bärtchen…“ Protest aus dem Publikum, offenbar sind eingefleischte Clark-Gable-Fans vor Ort. Berg wiegelt ab. Der neue Rhett gefalle ihm sehr gut, sagt er. Man könne ihn mehr mögen, er sei ein „menschlicherer Held“ geworden, eine „ehrliche Haut“. Überhaupt würde man viel mehr über Rhett Butler erfahren, denn Autor Donald McCaig habe die Leerstellen gefüllt, die Mitchells Roman hinterlassen hat.

Typisch Mann: Handeln statt Fühlen

Tatsächlich beleuchtet der amerikanische Autor McCaig, der mit seiner Frau eine Schaffarm in Virginia betreibt, erstmals Rhett Butlers Jugend und frühes Erwachsenenalter. Er lässt seine Geschichte fast zwei Jahrzehnte früher beginnen, bevor Mitchells Original ansetzt. Außerdem geht sein Roman einige Jahre über Mitchells Ende hinaus, man erfährt jetzt endlich, was nach der Trennung von Scarlett und Rhett passiert. McCaig führt neue Figuren ein, alte lernt man besser kennen. Die bekannten Schlüsselszenen und auch die Liebesgeschichte blieben dieselben – alles andere wäre auch nicht gegangen.

Der 67-Jährige, der sich mit der Veröffentlichung von Bürgerkriegsromanen und Hundebüchern in den USA einen Namen gemacht hat, hatte den Anspruch, die Geschichte aus der Perspektive von Rhett Butler zu erzählen. Fakt ist aber, dass er munter von Perspektive zu Perspektive springt: von der allwissenden zur personalen Erzählperspektive verschiedenster Figuren. Auch der Werbeslogan, man erfahre alles darüber, was Rhett Butler wirklich denkt und fühlt, wird nicht vollends erfüllt, denn bei wichtigen Szenen überlässt das Buch den Leser oft seiner eigenen Fantasie. Und die süßliche Liebesgeschichte bleibt, bei aller Legende, an der Oberfläche kleben. Irgendwie erfüllt McCaig, der von Mitchells Erbengemeinschaft als Autor auserwählt wurde, alle Klischees des „typischen“ Mannes: Viel spielt sich auf der Handlungsebene ab – innere Monologe, die Auskunft über Rhetts Gefühlslagen gegeben hätten, sind eher Mangelware.

Martin Umbach Foto © Andrea Tholl

Martin Umbach
Foto © Andrea Tholl

Um die Figur Rhett Butler bemüht sich Martin Umbach in Hamburg redlich. Erst spielt der Schauspieler mit seiner Kollegin Marion Martienzen eine Schlüsselszene aus „Vom Winde verweht“ nach, dann liest er 15 Minuten aus dem Roman „Rhett“. Er macht das wirklich gut, pointiert und engagiert. Kein Wunder, der Mann ist im Training: Umbach hat das Hörbuch von „Rhett“ eingelesen, auf immerhin 17 CDs und 1326 Minuten Sprechzeit hat er die 640 Buchseiten gestreckt.

„Role Model“ Scarlett O’Hara

Was aber in der Stunde danach kommt, hat mit dem neuen Buch allenfalls am Rande zu tun. Moderatorin von Sallwitz tut sich schwer, den Auftritt von Abi Wallenstein zu rechtfertigen und spannt halsbrecherisch Bögen vom Sezessionskrieg zum Hamburger Musik-Urgestein. Völlig unnötig: Wallenstein spielt drei mal zwei Blues-Stücke zur Steele-Guitar, den Soundtrack zum Südstaaten-Klischee – es passt hier hin, auch wenn der Blues weit nach Scarlett und Rhett erfunden wurde. Wallenstein überzeugt, das Publikum dankt es mit großem Applaus.

Genau wie bei Ralph Bauer, Lutz Herkenrath und Meike Harten, die für den Höhepunkt des Vormittags sorgen: Die drei Schauspieler geben eine Probe aus dem Theaterstück „Mondlicht und Magnolien“, das Ende des Monats am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater Premiere hat – eine Komödie, die die überaus schwierigen Dreharbeiten zu „Vom Winde verweht“ beschreibt. Überhaupt: Fast alles dreht sich jetzt um das Original, zum Beispiel das Gespräch mit einem lokalen Kinochef und Filmkenner, der launige Anekdoten über den Film erzählt. Oder das Interview mit Karen E. Johnson, neue Generalkonsulin der USA in Hamburg, für die Scarlett O’Hara „ein role model“ war: „Sie hat mir gezeigt, das Frauen alles dürfen.“

Und Rhett Butler? Der bleibt ein Rätsel während dieser fast 100 Minuten, wie schon in den vergangenen Jahrzehnten. Fast scheint es so, als ob er bei seiner eigenen Party nur eine Randfigur ist – hier haben sich einfach Menschen eingefunden, die launig einem über 70 Jahre alten Mythos huldigen wollen – in einer schwelgerischen, abwechslungsreichen und überraschend unterhaltsamen Inszenierung. Ob dies allerdings der Auftakt für einen Bestseller war, werden – wie immer – die Leser entscheiden.

 

Veröffentlicht auf SPIEGEL ONLINE

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