Andrea Tholl

Journalistin

° Colin Cotterill: Chaos in Laos

| Keine Kommentare

Cotterill

Foto © Urban Zintel / Random House

Krimiautor Colin Cotterill hat ein Faible fürs Exotische. Zum vierten Mal lässt der Engländer nun einen alten Pathologen im Laos der 70er Jahre ermitteln. Dr. Siri hat es in „Briefe an einen Blinden“ mit einer politischen Verschwörung zu tun, deren Auswirkungen selbst vor seinem Privatleben nicht halt machen.

Andrea Tholl: Mr. Cotterill, Ihr vierter Band um den Pathologen Dr. Siri beginnt mit dem mysteriösen Tod eines Blinden. Er hat einen Brief bei sich, der eine mit unsichtbarer Tinte geschriebene, verschlüsselte Botschaft enthält. Wie kamen Sie auf die Idee?

Colin Cotterill: Wenn ich ein Buch beginne, habe ich oft nur einen Titel im Kopf. Beim Schreiben versuche ich dann, einen Weg herauszupuzzeln, so dass er durch die Geschichte einen Sinn bekommt. Bei „Briefe an einen Blinden“ war das genauso. Der ursprüngliche Titel lautete „ Die Teufelsvagina“, basierend auf einer Legende um eine junge Prinzessin der Khmer. Von Marketingexperten wurde mir allerdings davon abgeraten, obwohl er mich sehr inspiriert hat.

Klingt für einen Krimi auch eher anrüchig.

Mag sein. Dabei ist die Teufelsvagina in Wirklichkeit ein Baum. Die alte Legende besagt nämlich, dass eine junge Prinzessin gegen ihren Willen einen greisen Alkoholiker heiraten sollte. Weil sie ihre Jungfräulichkeit retten wollte, floh sie kurz vor der Vermählung in den Dschungel, riss sich ihre Vagina heraus und warf sie in einen Baum. So kehrte sie heiratsunfähig in den Palast zurück.

Wie bei den anderen Dr. Siri-Romanen wählten Sie wieder einen ungewöhnlichen Schauplatz: Laos. Warum?

Dieses Land blieb in der fiktiven Literatur bisher tatsächlich fast unerwähnt. Deshalb hat er mich gereizt. Man kennt Laos vielleicht als Nebenschauplatz des Vietnamkriegs. Aber die wenigsten wissen wohl, dass es im zweiten Weltkrieg stärker zerbombt wurde als Deutschland und Japan zusammen.

Und auch dieser Roman spielt Mitte der 70er Jahre, kurz nachdem Laos kommunistisch wurde.

Im Grunde braucht man keine interessante Geschichte mehr zu erfinden, man erzählt einfach, wie die echte Situation war. Dreißig Jahre lang führten die Sozialisten Krieg gegen die Royalisten. Die Widerstandspartei Pathet Lao fand sich irgendwann als Machthaber wieder, wohl jenseits ihrer kühnsten Träume. Aus Angst vor kommunistischen Repressalien flüchteten viele Intellektuelle und Fachleute, so dass die meisten Positionen mit Soldaten besetzt wurden, von denen viele überhaupt keine Ahnung von dem hatten, was sie taten. Dieses Chaos ist einfach eine großartige Kulisse für eine Krimi-Reihe.

Der Tote scheint Opfer einer größer angelegten politischen Verschwörung zu sein. Gibt es Ähnlichkeiten zum echten Laos?

Durchaus. Meine Geschichten folgen chronologisch wahren historischen Ereignissen. Das neue Buch spielt in der Zeit, als ein Aufstand stattfand, der in einem laotischen Flüchtlingslager in Thailand begann. Eine Reihe von hochrangigen Beamten der Pathet Lao war darin verwickelt, beinah wäre die junge sozialistische Regierung wieder gestürzt worden. Natürlich bin ich aber auch ein Geschichtenerzähler, so dass ich der Wahrheit hier und da gern ein bisschen auf die Sprünge helfe.

Ihre Hauptfigur, Dr. Siri, ist bereits 73 Jahre alt. Ist es für einen Autor nicht gefährlich, seine Hauptfigur so alt zu machen?

Zwischen den Büchern liegt manchmal nur eine Woche, die gesamte achtbändige Serie umfasst kaum zwei Jahre. Deshalb mache ich mir überhaupt keine Sorgen um den alten Knaben. Außerdem hat er noch ein Ass im Ärmel. Er hat Kontakte in die spirituelle Welt. Man kann ihn vielleicht nicht am Sterben hindern, aber auch nicht daran, als Toter weiter auf der Welt mitzumischen.

In Dr. Siri lebt der Geist eines tausendjährigen Schamanen und er lässt sich von einem Transvestiten die Zukunft vorhersagen. Welche eigenen Erfahrungen haben Sie mit dem Übersinnlichen?

Ich selbst tue alles dafür, Geister zu treffen. Vor einiger Zeit lebte ich in einem alten Spuk-Haus am Mekhong. Darin wohnte ein Geist, ein alter General, den alle in diesem Dorf sahen. Meine Nachbarn verehrten ihn, legten ihm Obst vor die Tür und grüßten ihn im Vorbeigehen. Auch ich wollte ihn gern einmal sehen, aber ich war der einzige, dem es nicht gelang. Ich bin sehr enttäuscht von mir.

Halten Sie das kommunistische System für besser als das kapitalistische?

Meine Auffassung von Kommunismus kann zusammengefasst werden mit den Worten Dr. Siris: Der Kommunismus wäre das perfekte System, läge es nicht in den Händen des Menschen. Denn der Mensch ist egoistisch und will immer mehr haben als sein Nachbar. Gleichmäßiges Teilen, sogar innerhalb der Familie, ist für uns menschliche Wesen offenbar ein Fremdwort.

____________________________________________________________________________________________________________

ZUR PERSON

Colin Cotterill wurde 1952 in London geboren. Nach einer Ausbildung zum Englischlehrer begab er sich auf eine Weltreise, die Jahrzehnte dauerte. Er lebte in Australien, Japan, Thailand und Laos, wo er Englischkurse an verschiedenen Universitäten gab und als Sozialarbeiter arbeitete. „Briefe an einen Blinden „ ist der vierte Band der Serie um Leichenbeschauer wider Willen, Dr. Siri. Mittlerweile ist der Hundeliebhaber und begeisterte Comiczeichner in Chiang Mai/Thailand sesshaft geworden.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.