Andrea Tholl

Journalistin

° Håkan Nesser: „Gott ist ein Gentleman“

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Nesser

Foto © Lotte Fernvall / Random House

Denn er hat Geduld und drängt einen nicht, sagt der Krimiautor Håkan Nesser. Ein Interview über glauben und beten und einen Kommissar, der Stimmen hört

Herr Nesser, Ihr Kommissar Barbarotti ist gläubig. Warum war Ihnen das wichtig?

Håkan Nesser: Für mich war das ganz natürlich. Wie ein Philosoph bin ich sehr an existenziellen Fragen interessiert. Die wollte ich durch Barbarotti reflektieren: Gibt es Gott? Gibt es den Teufel? Warum sind wir hier? In einer Kriminalgeschichte geht es zwar immer um ein Verbrechen, aber letztendlich um noch viel mehr: um das Leben und den Tod.

Was für einen Glauben hat Barbarotti?

Er ist ein Amateur. Er ist naiv. Er nähert sich Gott, wie es ein Kind tun würde. Barbarotti ist gläubig, aber nicht religiös. Er geht nie in die Kirche.

Abschied und Trauer sind große Themen in Ihrem neuen Buch. Kommissar Barbarotti muss einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Seine Frau Marianne stirbt gleich im ersten Kapitel.

Ich wollte eine wirklich traurige Geschichte erzählen, die von den kompliziertesten Dingen des Lebens handelt. Barbarotti zweifelt nach dem Tod seiner Frau alles an und fragt sich, ob er noch die Kraft hat, ohne sie weiterzuleben. Er will weiterglauben, aber es fällt ihm sehr schwer. In dieser großen Not wendet sich der ­Kommissar an Gott und bittet ihn um Rat.

Und bekommt eine Antwort.

Ja, sogar eine sehr konkrete. Der Herrgott verweist Barbarotti auf den Brief an die Hebräer 11,32–40. Darin geht es in erster Linie um gottesfürchtige Menschen, die Qualen durchzustehen hatten, was Barbarotti aber nicht wirklich anspricht. Deshalb sucht er sich eine andere Bibelstelle aus dem ersten Brief an die Korinther, das Hohelied der ­Liebe, und lernt es auswendig. Dann führt er ein Gespräch mit Gott.

Wie läuft das ab?

Als der Kommissar den Bibeltext aufsagen kann, liegt er nachts in seinem Bett. In dieser Situation fragt er Gott, ob seine verstorbene Frau nun bei ihm im Himmel sei. Er habe nämlich noch immer kein Zeichen von ihr bekommen.

Am Abend des MordexUnd gibt es eine Reaktion?

Gott ist ziemlich genervt, weil Barbarotti so viel klagt und voller Selbstmitleid ist. Er fragt zurück, ob Barbarottis Glaube wirklich so schwach sei, dass er Forderungen stellen müsse. Er weist den Kommissar an, den Text aus dem Hebräerbrief noch einmal genauer durchzu­lesen. Nur durch den Glauben werde er schließlich bekommen, wonach er wirklich strebe, nicht durch Taten oder Feilschen. Gott hält die Suche nach Zeichen für Unsinn. Und er erklärt Barbarotti, er müsse erst glauben, um die Zeichen erkennen zu können.

Ist diese Stimme innerhalb oder außerhalb von Barbarottis Kopf?

Gottes Worte kommen von irgendwo, aber die Stimme dazu ist in seinem Kopf. Er kann zwischen seiner eigenen Stimme und der Gottes unterscheiden. Das ist auch wichtig. Denn sobald man Gott um Rat bittet und sich dann selbst einen gibt, trickst man sich aus, weil man sich die Antwort gibt, die man gerne hören möchte. Nun kann man natürlich lästern: Ja, ja, der hört Stimmen, das ist sowieso Quatsch.

Irritierend wirkt es schon.

Für einen materialistischen, realistischen Atheisten ist es bestimmt sehr irritierend, wenn jemand mit Gott spricht. Von mir aus kann es irritierend bleiben.

Sind Sie selbst auch gläubig?

Mittlerweile ja. In den 60er Jahren war ich Atheist. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich mich aber zu einem Gläubigen ent­wickelt, wenn auch nicht zu einem perfekten. Während dieser Zeit hatte ich viele Höhen und Tiefen, ich habe lange gezweifelt. Wie Barbarotti gehe ich nicht in die Kirche und würde mich auch nicht als religiös bezeichnen. Aber ich will glauben. Ich rede mit Gott und bete. Ich glaube, dass es eine gute Kraft gibt, auf die wir uns verlassen können. In die kann ich manchmal mein Leben legen und mich trösten lassen. Das ist oft ­mühsam genug.

Also hilft Ihnen der Glaube?

Glauben ist eine Art Kampf. Manchmal glaubt man, es gibt einen Gott, manchmal nicht. Dann denke ich, das Ganze ist nur eine Erfindung des menschlichen Geistes. Eine Art Bullshit. Wenn ich mir die Welt anschaue, frage ich mich häufig, warum lässt ein gütiger Gott das zu? Zum Beispiel dass in Norwegen 77 Menschen getötet wurden, viele von ihnen gerade er­wachsen. Aber wenn es Gott gibt, gibt es den Teufel auch. In Anders Breiviks Kopf hat der Teufel ganze Arbeit geleistet.

Und trotzdem können Sie weiterglauben?

Es ist anstrengend und kostet mich viel Energie. Aber glauben ist ja auch etwas anderes als wissen. Wenn man über Fakten spricht, weiß man etwas. Beim Glauben ist es anders. Man glaubt Dinge, die man nicht prüfen kann. Deshalb kann man sich dabei auch nie sicher sein. Das bringt einen immer wieder ins Grübeln. Aber Gott hat zum Glück Geduld. Er ist ein Gentleman.

Was meinen Sie damit?

Gott übt keinen Druck aus. Auch wenn man nicht glaubt, drängt er einen nicht. So ist Gott eben, wie ein Gentleman, der warten kann. Außerdem hat er zweifellos Sinn für Humor und ist nicht allmächtig. Er hätte sowieso keine Chance. Denn er kämpft gegen Menschen mit ihrem freien Willen und gegen den Teufel, der auch versucht, deine Seele zu bekommen.

Wie stellen Sie sich den Teufel vor?

Der Teufel ist ein smarter Kerl. Er kennt unsere Schwächen und versucht ständig, uns zu ködern und zu betrügen. Er sagt, mach dies, mach das, dann bekommst du dafür eine schöne Belohnung. Deshalb ist glauben so schwierig. Der Teufel schläft nicht. Aber Gott muss jeden Morgen aufwachen.

Information

Im Oktober 2012 erschien „Am Abend des Mor­des“, der letzte Band aus der Serie um Kommissar Barbarotti, btb Verlag, 480 Seiten. Die Reihe begann 2006 mit „Mensch ohne Hund“. Ihr Autor Håkan Nesser, 62, zählt zu den bedeutendsten schwedischen Krimi­autoren.

Veröffentlicht bei chrismon

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