Andrea Tholl

Journalistin

° Leo Martin: „Als Agent bist Du die Nanny des Informanten“

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Foto © Fabian Magnus Isensee

Foto © Fabian Magnus Isensee

Leo Martin war Geheimagent. Er wusste genau, wie man das Vertrauen von Informanten gewinnt und ihnen Insiderwissen entlockt. Ihm Interview weiht er uns in seine wirkungsvollen Strategien ein, die sich leicht in jeden Alltag integrieren lassen.

Andrea Tholl: Zehn Jahre lang waren Sie Agent für den deutschen Geheimdienst. Sie haben Vertrauensleute angeworben, um an brisante Informationen zu kommen. Klingt irgendwie nach James Bond.

Leo Martin: Wenn man die „Big Pictures“ im Kopf hat, vielleicht: wilde Verfolgungsfahrten, heiße Kampfszenen und Nachrichten, die sich von selbst zerstören. Aber der Arbeitsalltag bei einem westlichen Geheimdienst sieht anders aus. Mit den Agenten wird kein Himmelfahrtskommando betrieben. Alle Einsätze sind abgesichert. Mein Job war es, Informanten aus dem Milieu der Organisierten Kriminalität zu gewinnen. Und zwar solche mit möglichst guter Zugangslage.

Zugangslage?

Uns geht es um Insiderinformationen aus kriminellen Organisationen. Wir arbeiten mit V-Leuten, die eine sogenannte „Zugangslage“ zu diesem Wissen haben. Meistens sind das natürlich nicht die Jungs mit der weißen Weste, sondern die, die sich selbst die Finger schmutzig machen. Der Informant muss an der richtigen Stelle der Organisation sitzen, um genug mitzubekommen. Er muss Namen und Telefonnummern kennen, muss wissen, wer mit wem in welcher Beziehung steht, wer die Entscheidungen trifft und wohin das Geld fließt.

Warum kooperiert jemand aus dem kriminellen Milieu mit dem deutschen Geheimdienst?

Da wir keine Dienstleistung oder Produkt anbieten, mit der wir V-Männer an uns binden können, arbeiten wir ausschließlich über die Beziehungsebene. Geld, Erpressung oder die Aussicht auf einen deutschen Pass sind keine langfristigen Motivatoren und deshalb nicht geeignet. Ich muss meine Zielperson dazu bringen, es für mich ganz persönlich zu tun. Dazu muss ich mir ihr Vertrauen erarbeiten.

In Ihrem Buch erzählen Sie, wie Sie das Vertrauen des Ukrainers Tichow, einem Kriminellen aus dem Drogenmilieu, gewonnen haben. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Ich habe mich langsam in sein Leben geschlichen. Tichow habe ich zuerst mehrmals unter falscher Identität auf seinen Flügen getroffen. Dabei war es wichtig, dass es für ihn immer nachvollziehbar war, warum ich schon wieder auftauche, um nicht sein Misstrauen zu erregen. Bei der V-Mann-Anwerbung geht es am Anfang um eine gelungene Kontaktaufnahme, dann darum, auf der Beziehungsebene zu punkten und dort das Vertrauen der anderen Person zu gewinnen. Erst wenn die Beziehung solide ist, wird mit offenen Karten gespielt und eröffnet, um was es eigentlich geht.

Wie konnten Sie auf dem Fundament der Lüge dennoch Vertrauen aufbauen?

Irgendwann muss ich einen Schritt weitergehen und oute mich als Geheimagent. Alles, was der potenzielle V-Mann bis zu diesem Zeitpunkt über mich weiß, ist meine Legende. So gesehen verstehe ich, wenn Sie die Basis des Erstkontakts eine Lüge nennen. Dem Informanten wird aber sehr schnell klar, dass diese Maßnahme meiner und letztendlich auch seiner Sicherheit dient. Das musste er von einem Agenten erwarten. Deshalb schadet dieser Umstand auch nicht dem Vertrauensaufbau.

Ich_krieg_dichWelche vertrauensbildenden Maßnahmen sind noch wichtig?

Entscheidend für den Beziehungsaufbau ist die Erfüllung der Grundbedürfnisse meines Gegenübers, also nach Sicherheit und Anerkennung. Das gilt übrigens für alle Menschen. Wenn ich die erfülle, wird sich der Mensch mit mir wohlfühlen. Irgendwann bist Du als Geheimagent so etwas wie die Nanny für den V-Mann. Er kann mich jederzeit anrufen, ich biete Lösungen an, habe immer ein offenes Ohr. Der ruft dann nicht nur an, wenn er Informationen hat, sondern auch, wenn er Stress mit seiner Freundin oder Probleme Behörden hat.

Wie lange dauert dieser Prozess? 

Etwa drei bis sechs Monate. Alles darüber hinaus ist im kritischen Bereich, dann müsste man überlegen, die Strategie zu wechseln.

Wie lange sind V-Männer im Einsatz?

Uns geht es darum, den richtigen Mann langfristig an der richtigen Stelle zu platzieren. Nur dann bekommen wie die aktuellsten Informationen zuverlässig zuerst. Ein guter V-Mann kann über Jahre geführt werden. Zwei, drei oder vier Jahre sind da gar nichts.

Ist es Ihnen immer gelungen, alle anzuwerben, die Sie haben wollten?

Nein, es gab auch Misserfolge. Da hat trotz aller Taktik und Wissen die Chemie nicht gepasst und ich konnte nicht andocken.

Hatten Sie es nur mit V-Männern zu tun, nicht mit Frauen?

In meinem Bereich der organisierten Kriminalität waren es zu 90% Männer. Frauen gab es aber auch. Zum Beispiel ehemalige Geliebte, die noch Kontakte in die alten kriminellen Kreise hielten. Wenn ich von V-Männern spreche, soll das die Frauen also nicht ausschließen.

In Ihrem Buch sagen Sie, die Geheimdienststrategien seien ebenso auf den Alltag übertragbar. Wie?

Die Methoden, die sich unter den Extrembedingungen der Geheimdienstarbeit bewährt haben, funktionieren auch im normalen Alltag. Man kann sie gezielt einsetzen, um andere Menschen für sich zu gewinnen, sei es, um Bekanntschaften zu vertiefen, mit schwierigen Kunden umzugehen oder den Umtausch ohne Kassenzettel zu bekommen. Wenn man die Spielregeln kennt, wenn man das Gefühl der Vertrautheit und Nähe herstellen kann, dann sind andere Menschen bereit, etwas für Sie zu tun und fühlen sich auch noch gut dabei.

Könnte man die Strategie auch manipulierend einsetzen?

Kommunikation ist niemals zweckfrei. Sobald wir etwas sagen oder tun, wollen wir etwas erreichen. Allein die Tatsache, ein klares Ziel zu verfolgen, würde ich noch nicht negativ manipulierend nennen. Die Frage ist, welches Motiv steht dahinter. Ist es integer oder nicht? Wichtig ist eine respektvolle Grundhaltung, um eine faire und wohlwollende Beziehung aufzubauen. Die Methoden schaden niemandem, wenn man sie richtig anwendet. Aber es ist wie bei einem Messer. Sie können damit Brot schneiden und es mit anderen teilen, Sie können damit aber auch verletzen. Wenn Sie es als Waffe einsetzen, ist das Risiko hoch, sich selbst zu verletzen.

 

ZUR PERSON:

Leo Martin, geboren 1976 in Augsburg, absolvierte eine klassische Polizeiausbildung, bevor er ein Angebot für den Verfassungsschutz bekam. Er studierte Kriminalwissenschaften und stieg in die operative Geheimdienstarbeit ein. 10 Jahre lang warb er Informanten aus dem kriminellen Milieu an. Leo Martin arbeitete nach seiner Agententätigkeit für eine Unternehmensberatung, trat in der Show „The next Uri Geller“ auf und hält heute Vorträge zum Thema Kommunikation. Er ist Mitglied der German Speakers Association. Leo Martin lebt in München.

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