Andrea Tholl

Journalistin

° Robert Wilson: Zwischen Fado und Flamenco

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Foto © Andrea Tholl

 

Der Brite Robert Wilson ist Erfinder des „literarischen Thrillers“. Schreiben konnte er seine Krimis allerdings erst, nachdem er England verlassen hatte.

Seinen ersten literarischen Erfolg feierte Robert Wilson mit 14. Eine Hausaufgabe war es, im Englischunterricht: Schreibe ein Liebesgedicht und trage es der Klasse vor. Höchststrafe für pubertierende Jugendliche. Keiner meldete sich. Bis auf Wilson. „Lass es lieber bleiben“, flüsterte sein Sitznachbar, „du bist Rugbyspieler und kein Poet“. Aber der junge Mister Wilson ließ sich nicht beirren und legte los. In seinem Gedicht ging es nicht etwa um Herzschmerz und Gefühlsduselei, sondern mächtig zur Sache. Erster Sex war das Thema – und die Klasse schlagartig still. „Fantastisch“, sagte sein Lehrer danach, „du hast Talent“. Der Pädagoge hatte Recht. Der 48-jährige Wilson spielt heute in der ersten Liga der Krimiautoren, heimste sogar das Lob der New York Times ein, einer der besten Krimiautoren der Welt zu sein.

Britisch-distinguierter Charme

Der Weg dorthin war staubig, woran der Brite selbst nicht ganz unschuldig ist. „Obwohl ich nach dem Unterrichtserlebnis wusste, dass ich Schriftsteller werden will, hat es noch sehr, sehr lange gedauert. Immerhin ist das schon Anfang der 70er Jahre gewesen“, sagt er. Die Schriftstellerei erschien ihm nie als besonders lukrativ. „Ich habe eine Menge Zeit damit verbracht, zu überlegen, wie ich leichter mein Geld verdienen kann“, sagt der Mann mit den breiten Schultern, die immer noch die eines Rugbyspielers sind.

Sanfte Stimme für Gute-Nacht-Geschichten

Sein Schädel ist kahlgeschorenen, seine Augen durchdringend. Robert Wilson wirkt auf den ersten Blick ziemlich beängstigend. Aber der Mann hat Charme, Sorte britisch-distinguiert. Er spricht sanft und unaufgeregt, seine Stimme klingt so warm und melodisch, dass man sich wünscht, sie möge einem Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Keine Geschichten an diesem sonnig-kalten Tag im Frühling, Wilson spricht über sein Leben, das lange so anders war, als es hätte sein sollen. Er sitzt auf einem großen Sofa im Park Hyatt Hotel in Hamburg, neben ihm knistert der Kamin. Wilson ist auf seiner ersten Lesereise durch Deutschland.

Jobs als Werber, Schiffsbroker und Fremdenführer

Er erzählt davon, dass er in Oxford englische Sprache und Literatur studiert hat, danach jobbte er Ende der 70er ein Jahr lang als archäologischer Führer auf Kreta. 1980 starb sein Vater, Bomberpilot während des zweiten Weltkriegs. Wilson kehrte nach England zurück, kümmerte sich um seine Mutter. Er arbeitete in der Werbung und als Schiffsbroker. Zufrieden war er nicht. „Ich habe gemacht, was von mir erwartet wurde“, sagt der 48-jährige. Seine Stimme wird kurz ernst, er stützt den Kopf auf Daumen und Zeigefinger, die klassische Denkerpose. Sie passt zum Engländer. Sie passt zu der Zeit, von der er spricht. Einer Zeit, in der sein Leben trist war und weit weg von allem, was er wirklich wollte. Und die mit dem Tod seiner Oma endete. Sie hinterließ ihm ein bisschen Geld. Wilson nahm sich eine Auszeit von Job und Routine und machte das, was er immer schon gern tat: Reisen.

Mit dem Fahrrad durch Europa

Mit dem Fahrrad fuhr er 1984 allein von London auf die iberische Halbinsel – und verliebte sich: „Portugal und Spanien befriedigen die beiden Hauptaspekte meiner Persönlichkeit“, sagt er. „Ich bin Fado und Flamenco. Spanien ist offen, aggressiv und aufregend, Portugal dagegen melancholisch und ruhig.“ Das Charisma der beiden Länder hat bei Wilson seinen lang verschütteten Wunsch, Schriftsteller zu werden, zurück an die Oberfläche katapultiert. „Aber der Weg dahin ist komplexer als nur die Idee zu haben“, sagt er. Er blieb in seinem alten Job, hatte aber nun eine Vorstellung davon, wo er sein Glück finden würde.

Leben auf einem Bauernhof in Portugal

Trotzdem vergingen weitere Jahre ohne Schreiben. 1986 heiratete er seine Freundin Jane und fuhr mit ihr ein Jahr lang in einem VW-Bus kreuz und quer durch Afrika. Eine Belastungsprobe, die beide bestanden – Jane ist noch immer die Frau seiner Seite. Mit ihr zusammen hat Wilson Ende der 80er Jahre endlich den Mut auszubrechen. Sie verließen England. „Außerhalb dieses Landes fühlte ich mich einfach besser“, sagt er. Das Paar zog in ein altes, einsam gelegenes Bauernhaus in Alentejo, einer Provinz in Portugal. Das Haus war eine Ruine, hatte weder ein richtiges Dach noch Strom- oder Wasseranschluss. Und trotzdem erfüllte es Wilsons Lebenstraum. Lissabon und Sevilla, seine Lieblingsstädte, sind bequem mit dem Auto erreichbar. „Wir haben hier das Beste aus zwei Welten gefunden“, erzählt er und strahlt, „die Ruhe Portugals und die Lebensfreude Sevillas“.

Frau Jane Muse und Kritikerin

Wilson schien endlich angekommen zu sein und begann zu schreiben: „Nun gab es kein Zurück mehr. Um glücklich sein zu können, musste ich es wenigstens versuchen“. Er legte seiner Frau, Muse und Kritikerin in Personalunion, zig verschiedene Romanentwürfe vor. Jane, selbst sehr belesen und einst beim Fernsehen beschäftigt, war nie zufrieden. Solange, bis ihr Mann eines Tages etwas über Westafrika schrieb, das beide so gut durch ihre Hochzeitsreise kannten. Es war der Anfang eines Noir-Romans um einen britischen Fixer namens Bruce Medway. Sie bestärkte ihn eindringlich weiterzumachen. „Das war total schwer“ sagt er, „einen Roman anfangen, kann jeder. Aber die Mitte und das Ende sind die Hölle“. Trotz aller Zweifel schrieb er das Buch zuende und fand 1995 sogar einen Verlag – in England.

toten_von_santa%20_claraComing out als Autor mit 38

Mit 38 Jahren veröffentlichte Robert Wilson seinen ersten Roman, „Instruments of Darkness“. „Für einen Autor ziemlich alt“, sagt er, „andererseits: war mein Vorbild Raymond Chandler bei seinem Debüt sogar sechs Jahre älter als ich“. Die harten Zeiten waren damit aber noch nicht vorbei, alle vier Bücher der Noir-Serie verkauften sich schlecht. Wilson und seine Frau konnten von dem Geld kaum leben, ihr Haus stand auf dem Spiel. Notgedrungen orientierte er sich um – und erfand ein neues Genre: den „literarischen Thriller“. In ihm verbindet Wilson stets dramaturgisch gekonnt ein Verbrechen der Gegenwart mit einem aus der jüngeren Geschichte. Hauptschauplätze: Lissabon oder Sevilla. Er interessiert sich für die schwierigen, dunklen Kapitel der Gegenwart und der Vergangenheit. Von der Sorte, die Menschen am liebsten verdrängen möchten. Er aber will das Vergessen verhindern und die Menschen zum Nachdenken bringen.

Nazigold, Russenmafia und Menschenhandel

In „Tod in Lissabon“ geht es um Nazigold und Wolframschmuggel, in „Der Blinde von Sevilla“ um die Blaue Division Francos und in seinem neuesten Werk „Die Toten von Santa Clara“ um die Russenmafia und das Pinochet-Regime. In seinem nächsten Buch, das 2007 in Deutschland erscheinen soll, wird es um Terroranschläge gehen. Immer ist in seinen Büchern auch ein sozialkritischer Ansatz zu erkennen. Wilson beleuchtet die spanische und portugiesische Gesellschaft mit all ihren Abgründen wie Korruption, Prostitution oder Menschelhandel. Die schwergewichtigen Inhalte transportiert er mit leichter Sprache. Seine Charaktere, vom Kommissar bis zum Opfer, sind psychologisch stimmig konstruiert und überzeugen auch, wenn sie sich verändern. Bei der Erfindung seiner Figuren haben ihm die Erfahrungen geholfen, die er auf seinen beruflichen Umwegen gesammelt hat. „Bei der Schifffahrt habe ich gelernt, wie internationales Business funktioniert, in der Werbung wie die heimische Wirtschaft tickt“, so Wilson. „Aber am wichtigsten war es zu lernen, wie die Menschen denken. Nur dadurch konnte ich Charaktere erschaffen, mit denen sich die Leser identifizieren können“.

Er arbeitet hart für seine Bücher

Einer dieser Charaktere ist Javier Falcón, Chefinspektor in Sevilla und Hauptfigur einer auf vier Bände angelegten Reihe, die mit „Der Blinde von Sevilla“ 2003 startete. Falcón ist, wie die meisten Kommissare, mittelalt und beruflich etabliert. „Eine traurige Tatsache“, sagt Wilson. „Polizisten in dieser Hierarchiestufe müssen so alt sein, sonst könnten sie keine Morduntersuchungen leiten. Das Problem bei Männern dieses Alters ist aber, dass sie sich nicht mehr wesentlich verändern. Das finde ich furchtbar langweilig.“ Deshalb lässt er Falcón in „Der Blinde von Sevilla“ durch die Hölle gehen, um ihn in „Die Toten von Santa Clara“ mental wieder aufzubauen- glaubwürdig und nachvollziehbar. Für seine Bücher arbeitet Wilson hart.

Den ersten Entwurf schreibt er per Hand

Ungefähr sechs Monate recherchiert er zusammen mit seiner Frau für ein neues Buch. Das Schreiben des Romans dauert etwa ein Jahr. Er macht mehrere Entwürfe. Den ersten davon schreibt er mit Kugelschreiber auf billiges Kopierpapier, erst dann benutzt er einen Computer. Er arbeitet jeden Tag, auch am Wochenende. Er kürzt, stellt um, verändert die Dialoge, guckt sich jedes einzelne Wort immer wieder genau an. In der letzten Schreibphase rackert Wilson zwölf bis sechzehn Stunden am Tag. „Am Ende bin ich ein Schatten meiner selbst und von einem Toten nicht mehr zu unterscheiden“, sagt er. Er selbst ist es, der sich diese Herausforderungen sucht. Richtig zufrieden ist der Kritiker Wilson mit sich aber nicht: „Auch bei einem gelungenen Buch gibt es immer noch Elemente, die überarbeitet werden könnten“.

Peer Steinbrück ist bekennender Wilson-Fan

Die anderen Kritiker sehen das ein bisschen anders. 1999 erhielt er den „Golden Dagger Award“ und den Deutschen Krimipreis für „Tod in Lissabon“. Die ZEIT flehte: „Gäbe es doch nur einen deutschen Krimiautor, der schreiben könnte wie Wilson“. Der Brite hat sich mittlerweile eine beachtliche Fangemeinde erschrieben. Einer seiner größten Bewunderer wacht über den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland: Finanzminister Peer Steinbrück. Der hat neulich sogar in Köln eine Lesung seines Lieblingsautors moderiert. Steinbrück steht besonders auf die „politischen Dimensionen“ in Wilsons Büchern – und auf die erotischen Passagen. Außerdem hat der Herr Finanzminister öffentlich einen Wunsch geäußert: Wenn der Roman „Die Toten von Santa Clara“ verfilmt werden sollte, dann hätte Peer Steinbrück gern eine Nebenrolle – „als kleiner Finanzbeamter“.

Veröffentlicht bei stern.de

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